Auswärtsspiel

Kolumne von Bärbel Bimschas.

Dieser Tage scheint der Berlin-Frankfurt-Systemvergleich in der Luft zu liegen. Ich komme gerade zurück aus Berlin. Beim Aufwachen bildet sich mir der Satz: Das Berlin-Gefühl verhält sich zum Frankfurt-Gefühl, als würden Kontinentalplatten aneinander reiben.

Am Wochenende vor meinem Berlin-Wochenende wurde auf einem reich besetzten Podium im Frankfurter Literaturhaus das Vielleicht-Drama beredet, vom Suhrkamp Verlag verlassen zu werden. Zur Sache selbst ließ und lässt sich wenig reden, wenn man nicht im Verlagsmanagement sitzt. (Da sitzt auch der Betriebsrat nicht, aber er würde gerne mehr zu sagen haben, denn über 80 % der Mitarbeiter(innen) sind gegen eine Umsiedlung.)
Die Veranstaltung geriet gleichwohl zu einem aufschlussreichen Versuch, ein sich trotzig selbstbehauptendes Frankfurt gegen das verführerische Berlin zu stemmen. Das wirkte ziemlich hilflos und ziemlich provinziell. Früher, dachte ich, hätte man so billige Polemik gegen Berlin nicht nötig gehabt. Und ich dachte: Gleich werden die Bembel auf den Tisch gepackt.

Es muss ein Frankfurt gegeben haben, das intellektuell und existentiell anziehender war als dieser Tage: Mit regenbogenfarbenen Suhrkampreihen in jedem zweiten Haushalt in Bocken- und Bornheim, mit Adorno-Vorlesungen an der Uni und Hausbesetzungen im Westend. Martin Lüdke brach deswegen in Klage aus: Der Suhrkamp Verlag, das war seine Kindheit, seine Jugend, die werde ihm genommen. Ich weiß nicht, wer dieses Frankfurt kennt, von dem er nicht abgenabelt werden will: Es müssen Menschen sein, die 1970 schon die Berechtigung zum Führerschein hatten.

Oder ist es einfach nur nicht mehr das, was es noch nie war? Ulf Erdmann Ziegler jedenfalls, der noch jünger aussieht, als er ist, aber auf jeden Fall zu jung, um 1970 eine Fahrschule betreten zu haben, beschrieb nach dem Ende der offiziellen Diskussion aus dem Publikum heraus das heutige Event-Frankfurt, in dem beim Museumsuferfest 3 Millionen Würste an Hanauer verkauft werden und wo zwischen Frühjahr und Herbst fast jedes Wochenende ein Großereignis die Innenstadt beschallt. Bevor er fortfahren und die dem gegenüber fehlende Infrastruktur von diversifizierter Kultur in Frankfurt richtig anprangern kann wird er ausgebuht. Die Frankfurtanhänger sind mittlerweile starrköpfig geworden – und Ulf Erdmann Ziegler ein übler Nestbeschmutzer. Oder kennt ihn nur niemand, weil die meisten im Saal eher wissen, wann der Ironmanlauf stattfindet, als dass Ziegler ein respektabler Autor ist, der auch hätte auf dem Podium Platz nehmen können, wenn da noch Platz gewesen wäre?

Ich habe ein Wochenende später tatsächlich die Gelegenheit zum vergleichenden Selbstversuch, nämlich nach Berlin zu fahren – dem Frankfurter Autoren Theater sei Dank. Katharina Micada hat in Berlin das Kurzstück „Alles muss raus“ von Wolfgang Spielvogel adaptiert und ihm einen zweiten Teil geschrieben. Gezeigt wird das beim Festival der freien Theater 100 Grad Berlin in den Räumen des Kreuzberger Hebbel Theaters am Ufer. Ich freue mich, einen Koffer nach Berlin bringen zu können, ihn ins nahegelegene Hostel zu werfen und in die freie Theaterszene einzutauchen. Und nachdem das erste Fremdeln ziemlich schnell vorüber, das Matschwetter akzeptiert, Freundin Elisabete als Begleiterin aufgetaucht ist … fühle ich mich, ich gestehe, pudelwohl.

Vier Tage lang spielen an zig Spielstätten 120 freie Gruppen, ich lasse mich nur zwei Tage darin treiben und habe schon Geborgenheitsgefühle wie lange nicht mehr. Natürlich bin ich hier nicht im Alltag, natürlich … Aber ich bin fasziniert von den günstigen Eintrittskarten, der perfekten Organisation, dem ausufernden Programm dort am Ufer. Und davon, dass man ganz heimatlich sich von Theateraufführung an einem Ort zu Theateraufführung an anderem, aber nahe gelegenem Ort und dann wieder zu angenehmer Kantine bewegen kann, aber auch drei Straßen weiter davon nichts mehr ahnt. Nicht so, wie wenn in Frankfurt ein Kirchentag wäre oder in Köln Karneval ist, dass es kein Entrinnen mehr gibt.

Das Berlin-Gefühl ist tatsächlich wie ein Fenster zur Kreativität. Als ich morgens im Hotel in Berlin aufwachte, habe ich den Eindruck, dass die Dinge leben, sprechen, erzählen. So einen Eindruck habe ich in Frankfurt, dieser Stechuhrstadt, so gut wie nie. Hier spricht die Pragmatik, das Fenster ist immer ein Zeitfenster, die Stadt ist betriebsam und mythenleer.
Ulf Schmidt, Autor von Heimspiel, unserer Produktion mit Premiere am 8.Mai, sagt im Gespräch in der Brotfabrik: Frankfurt ist ehrlich. Das stimmt, und alle, die wie Schmidt ihren Führerschein frühestens in der Mitte der 80er machen konnten, werden ihm wohl zustimmen: Hier ist der aktuelle Stand der kapitalistischen Arbeitswelt zu erfahren, hier wird nichts übertüncht. Hier hat man kaum jemals Zeit und Gelegenheit für eine anständige Melancholie.

Und mittlerweile, und das ist das Besorgniserregende, darf und kann diese Welt der Finanztürme so ehrlich sein, dass sie kaum Gegenstimmen und – entwürfe evoziert. An der Stiftungsuniversität wird eifrig Bussinesswissen gesammelt, wenn´s das denn gibt, vielleicht gar ein Nobelpreis in Biochemie vorbereitet. Von den Geisteswissenschaften hört man kaum mehr was, und die Subkultur lebt in sehr wenigen Refugien, teils aus Gewohnheiten, die 30 Jahre alt sind. Diese Ehrlichkeit Frankfurts ist im Moment kaum erfrischend, sondern erstarrend.

Dahingegen ist Berlin lebendig, aber eben aus Frankfurter Sicht ganz erstaunlich kindlich und naiv. Berlin ist vermutlich die billigste und langsamste Hauptstadt der Welt. Ulf Schmidt schildert, dass man in einer Berliner Kneipe 10 Leute trifft, die Secondhandläden haben und der Rest malt und verkauft sich gegenseitig die Bilder. In Frankfurt kann man sich selbst im kuscheligen Albatros in Bockenheim nicht aufhalten, ohne, dass am Nebentisch irgendjemand über die Veränderungen in der „Abteilung“ spricht, darüber, dass auch Frau N. sich an die Umstrukturierung der Kommunikationsprozesse gewöhnen müsse usw.

Beim Berliner Festival gab es eine Preisverleihung, und die beiden Hauptpreise (!) waren ein Handy und eine Spielekonsole. Ich flüstere zu meiner Berliner, ehemals Frankfurter Freundin: Kindergeburtstag, Topfschlagen! Wir fallen vor Lachen fast aus unseren komfortablen Theaterstühlen im sehr beeindruckenden Theatersaal, der wie das Gallustheater wirkt, nur viiiiel größer (soviel zum Thema Infrastruktur für Kultur). Andreas Maier sagte bei der Suhrkampdiskussion, Berlin sei für ihn so was wie Mein zwölftes Schuljahr. Da ist was dran. Das ist ambivalent. Für ein in Frankfurt nach Max-Weber-Anleitung gestricktes arbeitsethisches Persönlichkeitskostüm ist das gar bedrohlich, für alle, die an die Kraft der Adoleszenz glauben, eigentlich nicht so. Dennoch stimmt was nicht mit einer Stadt, die nur das Leben im Kokon bieten kann.

Ach. Berlin und Frankfurt: Das Berlin-Gefühl verhält sich zum Frankfurt-Gefühl, als würden Kontinentalplatten aneinander reiben. Wenn es doch ein Ying und Yang wäre, bei dem sich beide Hälften integrieren ließen und es käme etwas Sinnvolles bei raus. So ist es aber nicht, und um es wenigstens egozentrisch, persönlich zu erleben: die ICE-Fahrt ist zu teuer.

[25. Februar 2009]
Die Kolumnistin ist Geschäftsführerin des Frankfurter Autoren Theaters

Eine Antwort

  1. Tom Orlowski sagt:

    Das hat gut getan, liebe Bärbel Bimschas, richtig gut getan. Für einen Berliner, der seit 1963 in der Frankfurter Diaspora lebt, war das Balsam auf die chronisch wunde Seele. Danke!

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