Sich aufrappeln, um fliegen zu lernen – FAZ zu IRRLAND

Arbeitslose als Schauspieler

Sich aufrappeln, um fliegen zu lernen

Die Laiendarsteller des „Theater Volare“ in Frankfurt suchen seit Jahren einen Job. Auf der Bühne finden sie wieder zu sich selbst. Ein Probenbesuch.

© Fricke, Helmut  Im „Irrland“: Laiendarsteller bei der Probe im Gallus-Theater

Jesus, ein Indianer und eine Stewardess stehen selten gemeinsam auf der Bühne. Doch in „Irrland“ ist manches möglich. Es ist ein Land der Geschichten, die nie ganz zu Ende erzählt werden, und ein Land der Träume, die immer wieder durch die Realität gebrochen werden. Erlebtes, Gefühltes und Erdichtetes fließt in grotesken Dialogen und Szenen ineinander. Die 23 Laiendarsteller und Mitglieder des „Theater Volare“ toben, singen und tanzen während der Proben für „Irrland“ auf der Bühne im Gallus-Theater. Sie kommen aus acht verschiedenen Ländern – eine Lehrerin, eine Industriekauffrau und ein Gastronom sind dabei.

Eine Maßnahme des Jobcenters hat sie nun auf die Bühne gebracht – alle Darsteller sind Langzeitarbeitssuchende und älter als 50 Jahre. Zum dritten Mal arbeitet Regisseur Wolfgang Spielvogel vom Frankfurter Autoren-Theater für ein acht Monate dauerndes Theaterprojekt mit dem Jobcenter Frankfurt zusammen. Er habe sich für die Groteske von den Geschichten der Ensemblemitglieder inspirieren lassen, erläutert er. Sie waren die Fäden, die er zu einem Teppich namens „Irrland“ verwoben hat, wie er sagt. Zu Beginn des Projekts haben sich alle regelmäßig zu einem Gesprächskreis versammelt. Das Abtauchen in die eigene Lebensgeschichte und das Erzählen seien vielen schwergefallen, berichtet Spielvogel. Schamgefühle und Misstrauen hätten überwunden werden müssen. Die Geschichten haben es in sich, sie handeln von Ausgrenzung, Druck, Schmerz und Angst, aber auch von Stärke, Mut, Leichtigkeit und dem Traum vom Fliegen.

Beim Spielen nicht verbiegen

„Mit dem Projekt wird einem ganz unvermittelt eine Tür geöffnet – dann auch über die Schwelle zu treten ist gar nicht so leicht“, meint Monica, die eine Bankangestellte spielt. Arbeitslosigkeit führe häufig zu Ausgrenzung und Isolation. Umso mehr Mut brauche es, vor das Publikum zu treten und sich durch das Spiel auszuliefern. Um besser zu verstehen, wie Theater funktioniert, besuchte die Gruppe das Schauspiel, die Komödie und das Stalburg-Theater. Zusätzlich erhalten alle Schauspielunterricht. Eine seiner Aufgaben als Regisseur sei es, den Laiendarstellern auszureden, auf der Bühne Kunst machen zu wollen, meint Spielvogel. Sie sollten sich beim Spielen nicht verbiegen, sondern zu sich selbst und ihrem natürlichen Ausdruck finden. Eben hat Darsteller Tom noch ein Kreuz über die Bühne geschleppt und manchen zynischen Kommentar abgelassen.

Nach der Probe schlüpft er schnell aus dem Indianerkostüm und meint, die Vertrautheit mit den Geschichten helfe beim Spielen. Als die Iranerin Sima als Stewardess auf der Bühne Getränke ausschenkt oder als Touristin die Füße im Meer baumeln lässt, wirkt ihr Spiel sehr authentisch. „Das Spielen macht mir so viel Spaß, ich gewinne neues Selbstvertrauen und bin hier wieder ein fröhlicher Mensch geworden“, resümiert die gelernte Industriekauffrau. „Das Leben steckt voller Überraschungen. Das Theaterprojekt zählt zu den guten!“

 

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