Ein Text, der umbläst [FR Vorbericht zur Premiere von Scherbenpark]

Das Interview mit Elisabeth Gabriel erschien am 31. Mai in der FR. Es wurde von Andrea Pollmeier geführt.

Frau Gabriel, Sie schrecken nicht vor harten Themen zurück. In Konstanz inszenierten Sie „Das große Heft“ von Agota Kristof für Jugendliche. Was brachte Sie dazu, jetzt Alina Bronskys Roman „Scherbenpark“ als Jugendstück erstmals für die Bühne zu bearbeiten?

Ich fand spannend, dass ein junger Mensch, der Opfer von so vielen Umständen ist, sich nicht als Opfer verhält, sondern provokant, arrogant und sogar ungerecht auftritt. Jugendliche sind in ihrem Urteil oft schnell und hart, ganz so verhält sich die Akteurin Sascha Naimann in diesem Stück. Sie kommt mit ihrer Familie aus Russland. Nachdem ihre Mutter vom Stiefvater getötet wurde, bleibt sie mit ihren Geschwistern zunächst allein. Sie urteilt streng und direkt und legt ihre guten Deutschkenntnisse wie einen Schutzpanzer um sich.

Der sehr erfolgreiche Roman musste für die Uraufführung am Theaterhaus Frankfurt erheblich gekürzt werden. Nach welchen Kriterien haben sie den Text für die Bühne bearbeitet?

Sascha ist ein Mädchen mit unglaublicher Kraft. Sie wirkt aber auch verstört, fast autistisch. Der Text ist darum wie ein Monolog gestaltet. Ein Musiker kommt später noch auf die Bühne, er wird hinter seinem Mischpult die Situation jedoch eher durch die Musik als durch Worte beeinflussen. Erzählt wird also aus der Perspektive Saschas, von dieser krassen Perspektive leben Buch und Stück. Mit indirekten Mitteln wird jedoch gezeigt, wie Sascha beispielsweise ihren Hass auf den Stiefvater abreagiert und übt, ihn umzubringen.

Wie übertragen Sie die Dramaturgie des Romans auf die Bühne?

Ich bin keine Autorin. Mich fasziniert, wenn ich einen Roman machen möchte, die Art und Weise, wie er geschrieben ist. Diesen Stil versuche ich beizubehalten. So entsteht auch zwischen dem Prosatext und der Situation, die ich szenisch schaffe, eine eigene Spannung. Für die Bühne musste ich eine geeignete Dramaturgie herauskristallisieren. Wenn man den Text eindampft, stehen plötzlich nur noch Katastrophen nebeneinander. Das würde ein Horrorszenario ergeben, das dem Buch nicht gerecht wird. Ich musste also sehr genau überlegen, ganze Blöcke aussparen, damit die Balance am Ende noch stimmt.

Sie arbeiteten einige Jahre bei Peter Zadek am Berliner Ensemble als Regieassistentin. Wie prägte diese Zeit Ihre eigene Regiearbeit?

Ich bin keine starke Konzepttheatermacherin. Mir ist die Arbeit mit den Schauspielern besonders wichtig, das habe ich von Zadek mitgenommen. Es gibt bei mir nicht das Konzept, das ich über das Ganze stelle, auch wenn ich beispielsweise in diesem Stück die Grundentscheidung treffe, die Vorstellungskraft vor allem über das Wort und die Technik anzusprechen. Es gibt zum Beispiel kein Bühnenbild. Der Text ist schon als Buchfassung gestisch, sehr stark, man fühlt sich direkt angesprochen. Ich kann mir gut vorstellen, wie jemand damit das Publikum quasi umbläst.

Auschnitt aus dem FR-Artikel/Interview.