Allein mit der Leiche. Kritik in der OP

Eine Schauspielerin, die im Tatort eine Leiche spielen soll, beschäftigt sich mit dem Phänomen des Tods.

Es ist ein Anschein wirklicher Erlebnisse, den die Ich-Erzählerin an diesem Abend im Frankfurter Autorentheater zu vermitteln trachtet. ,,Allein mit der Leiche“ heißt das Stück, das Barbara Englert spielt, die als einstige Mitbegründerin des Theaters Primadonna/Schwerer Held gleichsam eine zur Vorgeschichte der Bühne gehörige Rückkehrerin ist. Als Autorin des ,,Satirischen Diskurs-Theaters“ ist Lauren B. Jones angeführt; man darf freilich darüber spekulieren, ob nicht Englert selbst als Verfasserin dahinter steht.

Eine Menge Material wird ausgebreitet: Zitate aus Abhandlungen und Untersuchungen, Recherchen am Laptop. Immer wieder Gespräche. Mit einer gestrengen Wissenschaftlerin beispielsweise, über die Rolle von Elisabeth, der Muse der präraffaelitischen Kunst, Geliebte und spätere Ehefrau des Malers John Everett Millais, dem sie für eine Darstellung von Ophelia als Wasserleiche Modell stand.

Weiblich und schön: Das ist das Grundmaß für die Darstellung von Leichen, in der Kunstgeschichte wie im Fernsehkrimi. Der Gemeinplatz vom Tod als gesellschaftlich verdrängtem Thema wird durch eine Wirklichkeit mit 150 Toten auf 50 Krimifolgen in einer durchschnittlichen Fernsehwoche widerlegt.

Die Beschäftigung mit der Frage, warum Michael Jackson die Leiche von James Brown geküsst hat, schält sich als ein Hauptstrang des Interesses heraus. Charismaübertragung lautet die Antwort: Jackson präsentierte sich als legitimer Nachfolger des Soultitanen. Ein Phänomen, das auch unter politischen Machthabern verbreitet ist.

Der Tod als Übergang in die Ewigkeit eines Wirrsals von Stimmen all derer, die jemals gelebt haben, als Fortwirken des Geistes: Die Klanginstallation von John Elias – ein weiteres alter ego? – führt als integraler Anteil des auf nicht viel mehr als eine aufblasbare Sitzgruppe beschränkten Bühnenbilds die Stimmen von 14 kultisch verehrten Figuren wie Lady Di, Ulrike Meinhof, Marilyn Monroe, Sylvia Plath, Kurt Cobain, John F. Kennedy und Martin Luther King in kurzen Schnippseln als polyphonen Chor zusammen.

Ein Fall von fröhlicher Wissbegier. Literarisch betrachtet lässt sich Thomas Meinecke als Vorbild für das Verfahren des Theoriesamplings anführen. Als Ahnherrin einer an der Stand-Up-Comedy orientierten, Authentizität behauptenden Textperformance grüßt von fern die New Yorkerin Penny Arcade. Ein intimer, wunderbar pointiert gespielter Abend, unter der straffen Regie von Anna Stein, so klug wie amüsant.


Stefan Michalzik

Eine Antwort

  1. 24. Februar 2011

    […] Kritik in der Offenbach Post (Peter Michalzik)> […]

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