Vorschau September: BÜCHNERS ARETINO. EINE FIKTION. VON JAN-CHRISTOPH HAUSCHILD

Aretino

Uraufführung im September:

BÜCHNERS ARETINO. EINE FIKTION

VON JAN-CHRISTOPH HAUSCHILD

Georg Büchner soll, sagt man, kurz vor seinem Tod ein Drama über den italienischen Renaissance-Schriftsteller Pietro Aretino geschrieben haben, der religiöse Erbauungsbücher, berühmt-berüchtigte erotische Sonette, sowie erfolgreiche Theaterstücke verfaßt hat.
Er verkörperte den Typus eines unabhängigen, allein auf der Grundlage seiner geistigen Leistungen in einer höfischen Gesellschaft erfolgreichen sozialen Aufsteigers. Wahrscheinlich wurde dieses ARETINO-Manuskript von Büchners Verlobter, Wilhelmine Jaegle,  nach seinem Tod verbrannt –  angeblich wegen arg atheistisch geprägter Stellen und zu großer Frivolität im Drama.

Jan-Christoph Hauschild hat 1982 den Versuch gewagt, Büchners Vermächtnis neu  zu erfinden.

Wir spielen die Uraufführung!

 

Mutmaßungen über Büchners ARETINO

Pietro Aretino. Anders als Woyzeck soll er kein Opfer, eher ein Held sein. Oder? Ein Ferkel auf jeden Fall inmitten einer feinen Gesellschaft von Oberferkeln. Vom großen Meister Tizian gemalt und also verewigt – mehr als zwanzig mal , weil: was war schon eine einzige Ewigkeit für einen Mann wie ihn?

Dieser verlorene Sohn eines Schusters aus Arezzo macht sich im Alter von 25 Jahren nach Rom auf und sucht dort sein Lebensglück – im selben Jahr, in dem Luther seine revolutionären Thesen gegen Rom und Papst Leo schleudert. Ein Bonvivant, Vagant, Verächter der humanistischen Bildung, der sich vom Diener bis zum Herrn emporarbeitet, Bettler und Betrüger, ein Kind des Volkes.
Kein Woyzeck war das, kein klägliches Leiden Christi, nein, eine Siegernatur, ein Mann von Welt, der sich seinen Weg nach oben mit scharfen Ellenbogen und noch schärferer Zunge freizukämpfen versteht, der Zeiten und Räume durchmißt, die Kluft zwischen den sozialen Klassen mit einem gewaltigen Sprung zu überwinden wagt, ein Lebemann, Genießer, Gelegenheitsdiplomat; frechster Kritiker, Satiriker, Polemiker seiner Epoche, und ein Dichter, gesegnet mit der Sprache des Volkes, ein göttlicher Schelm, dem die feinen Herrschaften den Hof machten, weil sie seine spitze Feder fürchteten. Geißel der kirchlichen und weltlichen Fürsten mit Rückhalt im Vatikan, Papst Leos segnende Sünderhände über sich, eines Papstes, der aus Luthers Sicht des Teufels Sau, wenn nicht gar der Teufel selbst war.

Diesem Aretino würde er – das war Büchners Plan – ein Denkmal setzen, den Herrschenden aller Zeiten einen Denkzettel präsentieren, daß ihnen Hören und Sehen verginge. Natürlich auch dem Volk ein Schauspiel von befreiender Wahrheit bieten. Dieser Naturbursche würde in feinsten Schuhen und Modegewändern frisch-fröhlich durch die knietiefe Kacke der Lügen- und Heuchelkultur waten und in schamloser Wahrheitsliebe aussprechen, was ist.

Schwein oder nicht Schwein, das wäre keine Frage, die Bühne keine moralische Anstalt, sondern ein Spiegelkabinett des Lebens beider Seiten der Menschheit.
Das nackte Leben der Renaissance, allen machterhaltenden Scheins vornehmer Tugenden entblößt, noch die Allerhöchsten und Reichsten als Schlangensteher am Lotterbett der Hure Nanna in ihrer geilen Triebhaftigkeit und geistigen Impotenz, in ihrer gepuderten Schönheit und moralischen Häßlichkeit vorgeführt: es würde ein Schauspiel, wahrer und wirklicher als das Leben selbst. Darin ginge es nicht nur um die Emanzipation des Fleisches, es ginge ums Ganze, um die Emanzipation der Gesellschaft, um Destruktion ihrer destruktiven Verhältnisse. Dieser Aretino würde mit den heiligen und scheinheiligen Geistern und Größen seiner Zeit saufen, lieben, hassen, und kein Gesetz achten als das seiner Natur. Und lieben würde er nur das Leben und die Kunst. Und die Frauen würde er lieben wie die Geldzuwendungen der Herren, verschwenderisch und ohne Zahl.

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