Raus aus der Statistik! – FR zu IRRLAND

Raus aus der Statistik!

Von Judith von Sternburg

 Das Autoren Theater Frankfurt und das Jobcenter präsentieren „Irrland“ im Gallus Theater. 23 Arbeitssuchende über 50 („best!agers“, heißt das) erzählen von sich. Oder doch nicht?

 

 Auch vom Da-Sein erzählt „Irrland“.  Foto: Barbara Walzer / FAT

Seinen Namen trägt „Irrland“, weil es irre zugeht und Menschen daran irr werden können.

An den „Maßnahmen“, durch die auch ältere und alte Langzeitarbeitslose offenbar ohne Ansehen der Person und ohne Nachdenklichkeit geschleust werden und die auf Teufel komm raus auf dem Konzept basieren, es müsse nur die richtige Qualifikation her und der rechte Eifer beim Schreiben von Bewerbungen.

An der Diskrepanz zwischen einer Fülle von gelebtem Leben und Träumen (geplatzten und gepflegten) einerseits und der bürokratischen Einsortierung andererseits, die offenbar manches Mal „multiple Vermittlungshindernisse“ diagnostiziert. Ein Wort wie eine Krankheit, mit der man nun blöd dasitzt.

Irre werden an einer Gesellschaft schließlich, in der man auf keinen Fall lange arbeitslos sein darf, aus finanziellen und psychosozialen Gründen.

Auch „Irrland“ ist eine „Maßnahme“

Irrerweise gehört zugleich ja auch „Irrland“ zu den „Maßnahmen“. Bei den Eingangsreden fällt das Wort unbelastet und positiv, in „Irrland“ selbst klingt es dann böse. Ironiefrei finden sich im Programmheftchen auch die Logos der Projekte „Perspektive 50plus“ oder „Jobs für best!agers“. Weil man es kaum glauben kann, stößt man auf der Internetseite dann auf die Wendung „In Frankfurt werden SGB-II-Kundinnen und Kunden über 50 Jahren von ihren persönlichen Ansprechpartnern (pAp) des Jobcenters im Einzelfall dem Projekt ,Jobs für best!agers‘ zugewiesen.“

Wolfgang Spielvogel und sein Frankfurter Autoren Theater haben das knapp zweistündige Stück zusammen mit 23 Arbeitslosen, nein, SGB-II-Kundinnen und -Kunden über 50 Jahren vorbereitet. Zum dritten Mal in Kooperation mit dem Jobcenter Frankfurt am Main.

Wer kann das nachweisen?

Von Spielvogel ist der Text, der auf Gesprächen mit den Darstellern beruht. Der Zuschauerin wird klar, dass sie in einem eigenen „Irrland“ sitzt, weil die Behauptung, hier werde ausschließlich die Wahrheit erzählt, so unnachweisbar ist, wie die Bemühungen eines Arbeitssuchenden nie sein dürften. Das geht nur in der Kunst. Es geht auch nur in der Kunst, dass jemand ein Klavier möchte und sogleich rollt es herein. Bloß wenn die Geschichten zu bodenlos gewesen seien, sei etwas dazu erfunden worden, erklärt eine Mitspielerin. Aber was heißt denn das?

Manchmal dümpelt es, manchmal prickelt es, das heißt es jedenfalls auch. Im Gallus Theater tut sich zwischen Vorhängen eine surreale Szenenfolge auf, der Blick in Biografien, die in vieler Herren Länder ihren Anfang genommen haben, bevor sie nach Frankfurt und ins Irrland führten. Von einer Realität aus, die in einem bizarren Tanz der Annoncenleser gipfelt, geht es in Monologe, Gespräche, Erinnerungen hinein. Es gibt Prinzessinnen in Rosa und Putzfrauen, denen die Kneipe früher selbst gehört hat. Es fehlt nicht an der Anforderung: Raus aus der (Arbeitslosen-)Statistik! Es fehlt nicht der Wunsch, demnächst Weltmeister zu werden (inclusive WM-Song).

Hier tut jeder, was er kann und will, das muss nicht viel sein, ist aber möglicherweise eine Menge. Sicher muss niemand einen Leistungsnachweis erbringen. Also: hoffentlich doch nicht.

 

 

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