Virtuelles Stadtgespräch

Virtuelles Stadtgespräch
Wolfgang Spielvogel gründet in der „Brotfabrik“ das „Frankfurter Autoren Theater“

An Genazino führe kein Weg vorbei. Und an Gernhardt erst recht nicht. Wolfgang Spielvogel sitzt beim Weißwein vor der Frankfurter Brotfabrik und gerät ins Schwärmen. Seine Wunschliste wird lang und länger: Waechter, Mosebach, Büchner. Ihre Texte möchte Wolfgang Spielvogel dramatisieren, ihre Stücke will er auf die Bühne seines „Frankfurter Autoren Theaters“ bringen. Büchner? Moment mal, der war doch Darmstädter. „Der wird eingemeindet.“ Und auch bei Offenbachern – hier stand Thea Dorns Wiege – will er ein Auge zudrücken.
Wolfgang Spielvogel hat ein Theater gegründet, dessen Spielplan einer ungewöhnlichen Auswahl folgt: Nur die Werke in Frankfurt geborener und sesshafter Autoren oder solcher, die hier längere Zeit gelebt haben, sollen im „Frankfurter Autoren Theater“ inszeniert werden. Auch Bodo Kirchhoff steht darum auf Spielvogels Wunschliste. Den Beginn macht allerdings ein Vertreter der Neuen Frankfurter Schule. Vorlage für „Frühes Drängen und andere Szenen aus ,Die letzten Dinge‘“ waren F. K. Waechters Miniaturszenen. Am 7. September feiert das Stück Premiere, fünf weitere sollen pro Spielzeit folgen. Den berühmtesten Sohn der Stadt überlässt Spielvogel allerdings vorerst anderen: „Goethe ist Sache des Schauspiels.“

Gewächse aus dem Frankfurter Boden
Ist eine Auswahl, die allein einem geographischen Maßstab folgt, nicht zugleich sehr beliebig? Spielvogel ist überzeugt davon, dass die Stadt und ihre Intellektualität, der Marktplatz und seine Schreibbedingungen eine Literatur hervorbringen, die unverwechselbar ist. „Wer an einen Ort will, an dem die Probleme der Welt spürbar werden, muss nach Frankfurt.“ Auf Frankfurter Boden wachse Literatur von hoher Qualität. In dieser Stadt könne man gar keine Provinzliteratur schreiben. Das sagt ein Schwabe, der vor mehr als 30 Jahren hier seine Heimat gefunden hat: „Als ich 1975 ins hektische Frankfurt kam, blieb mir das Herz stehen.“
Vor einem Vierteljahr saß Spielvogel mit dem Leiter des Verlags der Autoren, Karlheinz Braun, zusammen. „Mir fehlt etwas in der Stadt“, habe Braun gesagt und aus dem Stegreif einen Spielplan für ein Frankfurter Autorentheater aus dem Ärmel geschüttelt. Spielvogels Plan klingt ambitionierter als diese Anekdote über die spontane Gründung. Ein „virtuelles Gespräch in der Stadt“ will er mit seinem Theater anstoßen. „Es entsteht ein Bild dessen, was hier gedacht wird.“
Auch Spielvogels eigene Stücke werden auf dem Spielplan stehen. Seit jeher widmet er sich Frankfurter Sujets und politischen Gegenwartsstoffen. Der frühere Chefdramaturg der Ruhrfestspiele gehört schon seit langem zu Frankfurts freier Theaterszene. Zwölf Jahre lang bildete er ein festes Gespann mit der Schauspielerin Barbara Englert, der er Rollen auf den Leib schrieb. Nach ihrem großen Erfolg „Primadonna/Schwerer Held“ benannten sie ihr Theater. Englert, die sich einen Namen damit gemacht hatte, auf der Bühne virtuos alle Rollen eines Stücks verkörpern zu können, schlüpfte damals in die Haut von Gert Bastian und Petra Kelly. Dann kam es zur Trennung. Spielvogel blieb in der Brotfabrik und nannte sein Theater „Primadonna/Schwerer Held“ um in das „Theater in der Brotfabrik“.

Dialoge bei Wein und Brot
Für sein neues Projekt hat er bei Bärbel Bimschas und Norbert Sassmannshausen vom Verein „DenkArt“ Unterstützung gesucht. Eine feste Bühnenbildnerin und ein Team von Schauspielern sollen die Frankfurter Texte inszenieren. Ein eigenes Ensemble kann Spielvogel sich nicht leisten. Auf der Bühne werden bekannte Namen stehen, so Christoph Fleischer und Sandra Baumeister, die nicht ausschließlich unter Spielvogels Regie auftreten sollen. Denn er wolle nicht allein inszenieren. Ein Wunschkandidat für die Regie ist Peter Danzeisen, früher Leiter der Abteilung Theater an der Hochschule für Musik und Theater in Zürich.
Zwei Rituale will Spielvogel ins neue Theater übernehmen. Nach den Aufführungen öffnet er gerne Weinflaschen und schneidet „das gute, dunkle Brot“ an. Die Zuschauer sollen sich über die Inszenierung austauschen. Mitunter geht das bis nach Mitternacht. Öffentliche Proben sind sein zweites Markenzeichen. Sie seien nicht für jeden Schauspieler einfach. „Man stellt am liebsten eine fertige Version vor. Was im Prozess ist, hat auch Fehler.“
Von Rainer Schulze
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