Von der Einsamkeit
Von der Einsamkeit
Er renoviert seine neue Wohnung. Allein. Verpuppt sich in Tapetenbahnen, ist überzogen von der knisternden Haut des trocknenden Kleisters. Bald, so glaubt er, wird er sich befreien aus der schützenden Hülle, wird hinaustreten in die Welt, neu geboren sein…
Mit dieser Metamorphose, die ja eigentlich nur die Hoffnung auf eine Metamorphose ist, beginnt ein ganz besonderer Marathon: „Das bin nicht ich der schreit“ ist der Monodramen-Marathon überschrieben, mit dem das Frankfurter Autoren Theater in die neue Saison startet. Präsentiert werden 14 Monodramen und ein Zwischenspiel, sie werden inszeniert von sieben Regisseuren und gespielt von neun Schauspielern, wobei die Schauspieler durchaus auch Regisseure und die Regisseure auch Schauspieler sein können.
Dieser Marathon hat eine lange Vorgeschichte: Karlheinz Braun, der ehemaliger Leiter des Verlags der Autoren, veröffentlichte 1987 die „MiniDramen“, eine beträchtliche Sammlung von 111 Kürzeststücken. Der Erfolg bei Lesern und Theatern war so beeindruckend, dass bei Braun aus der Idee zum Buch die Idee zum Theatermarathon wurde. In diesem Frühjahr sprach er Frankfurter Autoren an und fragte, ob sie für einen Monodramen-Marathon einen Text schreiben und/oder zur Verfügung stellen könnten – als Honorar bekommen sie neben freiem Eintritt gratis Brot und Wein, wenn sie ihr Stück sehen möchten. Und wer das Frankfurter Autoren Theater kennt, weiß, dass das zwar ein schmackhaftes, aber kein besonders exklusives Vergnügen ist. Brot und Wein werden dort unterm Dach der alten Hausener Brotfabrik seit dem ersten Spieltag des Off-Off-Betriebs gereicht.
Das focht die Autoren nicht an. Sie schrieben und durchsuchten Geschriebenes. Aus den eichhörnchenfleißig zusammengetragenen Texten wurden derer 15 von den Vieren im Leitungsteam des Theaters ausgewählt: Chef Wolfgang Spielvogel, Karlheinz Braun, Bärbel Bimschas und Norbert Saßmannshausen steckten – Stück für Stück – eine Strecke von erwarteten sechs Stunden Spieldauer ab.
Thematische Vorgaben beschwerten nicht das Schaffen der Autoren, trotzdem haben sich drei Themenschwerpunkte herauskristallisiert. Im ersten Drittel werden Stücke gespielt, die einen Aufbruch skizzieren, zu ihnen gehört das eingangs erwähnte Renovierungs-Monodrama von Matthias Göritz.
Im zweiten Teil geht es um die Betrachtung einer Person, wie etwa bei Andreas Maier, der einem Kellner vom Gemalten Haus eine Vergangenheit als Speedwayfahrer und eine gesellschaftliche Verankerung in der Bundesliga gibt. Im dritten Teil folgt die Konklusion: Silke Scheuermann lässt ein altes Ehepaar „Die erste Nacht“ im Altersheim erleben, eine Luxusresidenz mit allem Schnick und Schnack, finanziert von den monetär leistungsfähigen Kindern. Gert Loschütz‘ „Der Sammler des Schreckens“ ist Zeitungsredakteur und damit schon von Berufs wegen den Ungeheuerlichkeiten des Daseins sehr zugeneigt. Aber niemand will von seinen Entdeckungen wissen. Daraus zieht er seine Konsequenz.
Inszeniert werden die Monodramen auf ganz unterschiedliche Weise, mit dabei sind junge Talente, die in einer Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst beim Autoren Theater arbeiten, mit dabei sind auch Peter Danzeisen und Peter Kupke und damit Regisseure, die in ihren Zeiten bei den Stadt- und Staatstheatern oder als profilierte Hochschuldozenten vieles erreicht haben, denen aber noch genügend Neugierde innewohnt, um sich selbst und ihre Fähigkeiten in neuem Rahmen zu erproben.
Die einzelnen Stücke sind zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde lang. Viktor Vössing ist dem Frankfurter Autoren Theater als Schauspieler und auch mit seinem Main-Theater verbunden. Er spielt im kürzesten Stück, dem von Maier, den Kellner und in einem der längeren – „Alles muss raus“ von Spielvogel – einen von Geistlichen missbrauchten Mann, der nach 35 Jahren des Schweigens die letzten Momente erlebt, bevor er an die Öffentlichkeit geht. So unterschiedliche Rollen verlangen Vössing viel Professionalität ab. Aber da ist ja dDie typische Zuversicht des Mimen.
Bliebe noch ein Sätzchen zu sagen über die Dauer des Marathons. Zu den sechs Stunden Spielzeit gesellen sich noch etwa zwei Stunden Pause, im Eintrittspreis von 40 Euro ist ein Essen, sind aber auch die obligatorischen Rotwein und Brot enthalten. Schluss sollte immer so gegen 24 Uhr sein.
In jenen acht Stunden ist nicht nur Starren auf die Bühne: Da ist ausreichend Zeit, um der Einsamkeit, die die Monodramen schon allein ihrer Gattung wegen mit sich tragen zu entrinnen: Durch das Miteinander des gemeinsamen Theaterabends, durch Essen und Reden.
Quelle: Frankfurter Rundschau, Ausgabe vom 20.9.2008 Autorin: Ulrike Krickau