Blicke unter die Hirnschale

Blicke unter die Hirnschale

Beim wunderbaren «Monodramen-Marathon» in Frankfurts «Brotfabrik» inszenierten sieben Regisseure dreizehn Kurztexte.

Wer sich die drei Spielblöcke von sechseinhalb Stunden lieber sparte, dem entging etwas. Wenn Monodramen für nur einen Darsteller oft ins Skizzenhafte oder Verschrobene tendieren, so lernte man an diesem Theaterabend, wie ungemein plastisch die Minuten-Menschen werden können, sobald sie hintereinander weg im Rudel auftreten.

Herkömmliche Monologe bieten Figuren die Gelegenheit, aus Dialog und Zeit herauszutreten, um über sich, ihre Absichten, Gefühle oder Stellung in der Welt nachzudenken. In Monodramen fallen Figur und Welt hingegen so in eins, dass man der Gestalt, die sich da ins Gigantische aufbläst, nur ganz folgen kann oder gar nicht. Viele Autoren legten sich die Form realistisch aus: Ein junger Mann schlägt der abwesenden Vermieterin die spießige «Hausgemeinschaft» um die Ohren. Eine Frau sitzt am Bett ihres komatösen Mannes und verfällt dem Sog des Todes. Eine andere macht ihrer kümmernden Pflanze Mut. So der Inhalt bei Matthias Göritz («Liebe Frau Krauss»), Ulrike Kolb («Schwebender Zustand») und Hanne Kulessa («Ich wollte groß werden»). Realistisch auch die Missbrauchs-Geschichte «Alles muss raus» von Wolfgang Spielvogel, der hier und mehrfach Regie führte, sowie Susza Bánks Protokoll einer jungen Mutter, die beim Unfall der Tochter nicht ganz präsent ist und sich der schleichenden Entmündigung erwehren muss.

Ob man wirklich von Realismus sprechen sollte? Immerhin tendiert das hypertroph vergrößerte Subjekt im Monodrama regelhaft zum skurrilen Charakterbild, zur Groteske oder Tragikomödie, wobei die Rolle vom Darsteller aufgesogen werden kann. Ulrich Rügner etwa spielt erst einen komischen Alten (Oleg Jurjew: «Bei uns im Zoo und um den Zoo herum», Regie: Nicole Horny), dann den Alten in Silke Scheuermanns «Die erste Nacht» (Spielvogel): Hier wie dort wächst er schwäbelnd restlos ins kauzige Original ein, wobei der mosernde Alte auf der Suche nach dem Klo im Altersheim noch überzeugender ausfällt, da er sich unwissentlich als Alzheimerfall entlarvt. Peter Danzeisen wiederum spielte in Eigenregie erst F.K. Waechters «Der Affe des Strandfotografen» und im letzten Stück von Gert Loschütz den «Sammler des Schreckens».

Wo Waechter, das heimliche Genie, originelle Funken aus Gestalten Kafkas schlägt und die Unsicherheit, wer Affe, wer Fotograf sei, auf uns überspringen lässt, sorgt Danzeisen als Frankfurter Zeitungsredakteur und Sammler von Zeitungsschrecken für einen fantastischen Schlussstein. Nackt auf die Bühne gerollt, ins Irrsein abdriftend, kleistert eine Frau ihn zu – mit Zeitungsfetzen. Starkes Bild, dem an diesem Abend der biederen Pförtner, die sich ins Unglück stürzen, der Blicke unter die Hirnschale von Verschwörungstheoretikern und der Halbirren mit Jesus-Fixierung wohl nur ein Stück wirklich gleichkam. Nur Nicole Horny fiel in Sabine Loews Regie inszenatorisch aus der Reihe, als sie mit der «Mono»-Silbe spielte, sich in Franz Mons und Christoph Buggerts «Von den Fahrplänen . . .» mittels digitaler Videotechnik vervielfachte.

Quelle: Frankfurter Neue Presse 2.10.2008 – Autor: Marcus Hladek

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