Schuld, Sühne, Rechtfertigung

Schuld, Sühne, Rechtfertigung
Von Roman Weigand

Es ist ein kühner Versuch, den das Frankfurter Autoren-Theater wagte. Und er entbehrt nicht einer gewissen Dialektik.
Hatten sich die Theatermacher aus der Brotfabrik doch auf die sublimste, einsamste und zumeist kürzeste dramatische Gattung, auf das Monodrama, verlegt und aus diesem zugleich einen Tag der Superlative gemacht. Sieben Stunden Theater sind aus dem Projekt entstanden. Unter den 14 Stücken 13 Uraufführungen. Allesamt aus der Feder Frankfurter oder Frankfurt nahestehender Autoren, von Zsuzsa Bánk bis Urs Widmer.

Und doch zeigte die Truppe um Theaterleiter Wolfgang Spielvogel schnell, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt vom kompetitiven Charakter ihres selbstgewählten Labels verführen lassen würde. Aus den Inszenierungen sprachen weder unangemessenes Rekorddenken noch die zähe Ausdauerleistung eines Marathonlaufs. Im Gegenteil: Was Spielvogel und die Seinen auf die Bühne brachten, waren ausnahmslos feinsinnige, präzise gestaltete Miniaturen, die der Intimität der monologischen Gattung ebenso Rechnung trugen wie den begrenzten Möglichkeiten des kleinen Aufführungsraums im Obergeschoss der Brotfabrik. Dabei legten Schauspieler und Regisseure genau jene Schichten des (Unter-)Bewusstseins frei, die nur dem Monodrama in so entblößender Offenheit möglich sind: Euphorie und Selbstanklage, Spott, Verachtung und Zuneigung, Humor und Verzweiflung.

„Schnüffel-Ego“, hochnäsiger „Penthouseblick“

Wer vom virtuell oder tatsächlich angesprochenen Gegenüber – denn kein Monolog ist sich selbst genug – keinen Widerspruch zu erwarten hat, der lässt seinen Gedanken freien Lauf. So Ricarda Klingelhöfer in Ulrike Kolbs Stück „Schwebender Zustand“. Verzweifelt redet eine Frau auf einen hinter einer Wand verborgenen Mann ein, den sie einst geliebt und verlassen hat und der nun nach einem Unfall regungslos im Wachkoma vor ihr liegt. Aus jeder Pore des einseitigen „Dialogs“ spricht das „Zu spät“ der unwiederbringlichen Vergangenheit, der verpassten Chancen ihrer Beziehung. Auch Mario Krichbaum bricht in „Liebe Frau Krauss“ von Matthias Göritz eine einseitige, anklagende Tirade los. Bei der Wohnungsrenovierung vor seinem Auszug rechnet ein junger Mann mit seiner nervigen Vermieterin ab, mit ihrem „Schnüffel-Ego “, ihrem hochnäsigen „Penthouseblick“. Die Spachtel drohend in der Hand, sich in einem Konkon aus Abdeckfolie verpuppend oder schwelgerisch die Nacktaufnahmen seiner Exfreundin auf dem Laptop betrachtend, lässt Krichbaum die Szenen einer nach dem Zuhause suchenden Existenz vorüberziehen, die im Begriff ist, die Welt „besenrein“ zu verlassen.

„Nur ein bisschen geblutet“

Schuld, Sühne und Rechtfertigung sind starke Motive des Marathons. „Ich habe gefehlt“ hebt Dea Lohers Protagonist (Hendrik Vogt) in „Samurai“ an, der Geschichte eines pflichtbewussten Pförtners, der verschlafen hat und sich nun zur Strafe selbst richtet. „Alles muss raus“ ist dagegen der Leitsatz in Wolfgang Spielvogels gleichnamigem Monodrama. Angelehnt an den autobiographischen Bericht Norbert Denefs versucht sich darin ein Mann (Viktor Vössing) darauf vorzubereiten, seiner Familie über die sexuellen Missbrauchserlebnisse in seiner Kindheit zu berichten. Doch weder Spickzettel noch der Vorsatz, zu üben und nochmals zu üben, helfen, das Unaussprechliche verbalisierbar zu machen. Und auch in Zsuzsa Bánks „Nur ein bisschen geblutet“ lautet das Credo „Ich habe keine Schuldgefühle“.
Katharina Hackhausen trägt die Selbstrechtfertigungen einer Mutter, deren Tochter an der Hand einer älteren Dame die Treppen zur U-Bahn heruntergestürzt und nun traumatisiert ist, mit unglaublicher Eindringlichkeit und perspektivischer Varianz vor.

Doch der Marathon hat auch seine komischen Seiten. Etwa, wenn Ulrich Rügner souverän schwäbelnd in Silke Scheuermanns „Die erste Nacht“ seinen Einstand im Luxusaltenheim für Senile gibt und dabei die Toilette nicht findet, auf der er eben noch saß. Oder wenn Viktor Vössing in Andreas Maiers „Scheißstimmung“, einer Hommage an den Kellner Jürgen aus der Sachsenhäuser Wirtschaft „Zum gemalten Haus“, zwischen Apfelweinseligkeit, Uli-Hoeneß-Sprüchen und einer Christuspersiflage an seiner Selbstkreuzigung scheitert, weil es nun einmal technisch unmöglich ist, sämtliche Nägel selbst einzuschlagen. Auch die Sprachspielereien eines Franz Mon und so manche weitere lokale Einfärbung fehlen an diesem langen, aber sehr kurzweiligen Theatertag nicht. Für das leibliche Wohl sorgen ein in der ersten Pause kredenztes Abendessen sowie, obligatorisch, Wein und Brot zum Abschluss.

FAZ, Printausgabe 23.9.2008