Mit der Bibelkeule

„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt.“ Vielleicht ja auch einen wundersamen Retter, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht? Der Wissenschaftler Ray (Dirk Zill) wäre jedenfalls um jegliche Hilfe froh, ganz gleich, ob himmlische oder irdische. Ray ist mit drei weiteren Menschen in einem von Wasser umspülten Hochhaus an der Ostseeküste gefangen. Der Wasser-Spiegel ist nach der Klimakatastrophe um viele Meter gestiegen und die Verbindung zum Festland abgeschnitten. Rays Hoffnung ruht nun auf einer künstlichen Taube, die vom genialen oder doch nur irren Professor Nimsky (Walter Jauernich) dazu entwickelt worden ist, rettenden Kontakt mit der restlichen Welt aufzunehmen.
Im Gegensatz zu Ray und zum Professor will die Computerspezialistin Billy (Tatiana von Kutzleben) nicht auf Nimskys Taube setzen. Sie glaubt, nur mit der Hilfe Gottes oder eines göttlichen Wunders der Situation entfliehen zu können, und bringt mit dieser Überzeugung auch die ätherische Thalia (Bianca Bernt) zum Grübeln. Als ein Wal auftaucht, scheint die Rettung nahe, aber nur für diejenigen, die bereit sind, an eine höhere Fügung zu glauben.

Peter Kapps Endzeit-Groteske „Nimskys Taube“, die nun in einer Inszenierung von Sascha Weipert im Frankfurter Autoren Theater in der Brotfabrik uraufgeführt wurde, spielt mit den Gegensätzen von Wissenschaftsgläubigkeit und Gottergebenheit, ohne allerdings die Rolle des Beobachters aufzugeben und Position zu beziehen. Kapp lässt einen nach den ungeschriebenen Regeln der Farce mit einem Sprachfehler geschlagenen Professor und einen wie Hamlet mit sich ringenden Hauptdarsteller Ray auf zwei eher biblischen Motiven und Geschichten gegenüber aufgeschlossene Frauen treffen. Aus dieser Konstellation entsteht nun aber kein funkelnder aufklärerischer Diskurs oder auch nur ein Showdown von Technikfreaks und Kreationisten, sondern allein die absurde Situation, dass die beiden Kerls das Meer vor lauter Wasser nicht sehen, die Frauen hingegen den Wal als probates Reisemittel ansehen, wovon sie nicht zuletzt das Auftauchen des weiß gewandeten, engelsgleichen Jona (ebenfalls Tatiana von Kutzleben) überzeugt.
Von Jona weiß die Bibel zu berichten, dass der Prophet von einem großen Fisch verschluckt, nach drei Tagen und drei Nächten im Bauch des Fisches unversehrt an Land gespuckt wurde. In der Geschichte von Jona (dem hebräischen Wort für Taube) geht es aber auch um die Stadt Ninive und die Buße der dort lebenden Menschen, welche die Stadt vor der Zerstörung rettet.
Ob Kapp hier die alttestamentarische Keule in voller Absicht schwingt oder der biblische Plot nur eine weitere Facette der Farce ist, wird bei Weiperts Inszenierung nicht recht deutlich. Eine pointiertere Regie hätte hier mehr Licht auf die etwas kruden, teils auch in parapsychologische Gefilde abdriftenden Gedankenströme der Figuren lenken können. So bleibt nur eine Variante des guten alten Sprichworts: Lieber den Wal zur Hand als die Taube auf dem Dach.

Die Kritik von Christian Riethmüller erschien in der FAZ am 4. Juli 2009 unter dem Titel „Mit der Bibelkeule. „Nimskys Taube“ im Autoren Theater

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