Gegen eine Wahrheit
„Kannst ruhig so kaputt sein, dass die Leute nichts mehr mit dir zu tun haben wollen.“ Wolfgang Spielvogel lässt der Frau keine Chance. Spielvogels Darstellerin fügt sich der Anweisung ihres Regisseurs. Die Frau spielt eine Augenzeugin im Fall um den 1977 von der Roten-Armee-Fraktion ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Das Stück, von Spielvogel selbst verfasst, heißt „Buback“. Gemeint ist nicht das Mordopfer. Dazu aber später mehr.
Das Publikum lacht, eine kaputte unsympathische Darstellerin nach Ansage hat man nicht alle Tage. Aber in diesem Fall schon, im Frankfurter Autorentheater in der Hausener Brotfabrik, wohin Regisseur Spielvogel zur öffentlichen Probe eingeladen hat. Spielvogel lässt die Szene um die Augenzeugin neu beginnen. An einem schlichten grauen Tisch sitzt sie, ist allein auf der Bühne, hinter ihr eine schwarze Wand. Sie windet sich, „ich habe etwas zu sagen“, mehr zu sich als zu einem imaginären Gegenüber. Dann bricht es aus ihr heraus. Der Mord an Buback, die Vernehmung durch das BKA, das lange Hoffen auf die Anhörung, die nie kam. 30 Jahre hat die Zeugin gewartet, ihre Geschichte zu erzählen. Und gehört zu werden.
Premiere ist am 26. November
Am Donnerstag präsentierte Wolfgang Spielvogel sein neues Stück erstmals der Öffentlichkeit. Premiere ist am 26. November, und noch ist am Text zu feilen, die Inszenierung zu meistern, hundert Details zu klären.
„Buback“ basiert auf den Fakten des Mordfalls von 1977 und auf Gesprächen Spielvogels mit Buback-Sohn Michael. Es ist 2007, Buback senior ist 30 Jahre tot, die Täter sind gefasst und verurteilt. Da erhält Michael Buback einen Anruf von einem Unbekannten. Der behauptet, der verurteilte RAF-Mann Knut Folkerts sei gar nicht der Mörder seines Vaters.
Buback kann das nicht glauben. Er will Beweise dagegen sammeln und so sein ins Wanken geratenes Weltbild kitten. Doch je mehr er recherchiert, umso mehr Widersprüche tauchen auf. Es gibt neue Augenzeugen, neue Indizien.
Darsteller werden zu Schattenfiguren
„Danke“, heißt es aus dem Zuschauerraum. Spielvogel spricht den jungen Buback, bedankt sich für den Bericht der Zeugin. Dann ist er wieder Regisseur und wendet sich an die Zuschauer. Er sei noch nicht sicher, wo auf der Bühne die Darstellerin sitzen soll. In der Mitte, schlägt eine Frau aus dem Publikum vor. Das wird ausprobiert, gefällt aber nicht.
Umbau auf der Bühne. Tisch und Stuhl kommen weg, Papierrollen werden heruntergelassen. „So sollen verschiedene Räume entstehen, getrennte Welten“, erklärt Spielvogel.
Ein neuer Darsteller betritt die Bühne. Er sei Michael Buback, sagt er. Ein Informant erscheint. Hinter angeleuchteten Papierrollen werden zwei Darsteller zu Schattenfiguren. Sie unterbrechen Buback, verspotten – vielleicht Buback, vielleicht die offizielle Version der Geschehnisse von 1977. Buback ist fassungslos. So fassungslos, dass sein Darsteller stockt und seinen Text vergisst.
Gelungener Test
„Die Kommunikation zwischen Buback und den Schatten stimmt noch nicht“, findet Spielvogel. Er will vom Publikum wissen, wie das wohl verbessert werden könnte. Die Schatten sollen Bubacks Zerrissenheit zeigen: Beharrt er trotz gegenteiliger Indizien auf die BKA-Version , an die er 30 Jahre lang glaubte? Oder lässt er zu, dass diese Wahrheit eine Lüge ist.
Aus dem Publikum kommt der Vorschlag, mit der Schärfe der Schatten zu spielen. Das wird gleich getestet. Und es sieht besser aus, aber noch nicht perfekt. „Ich sehe schon, wir probieren das noch einmal ohne Sie aus“, sagt Spielvogel und beendet die Probe. Der Test ist gelungen, findet er. Das Publikum sollte für das Stück gewonnen werden. Das hat geklappt, die Premiere ist ausverkauft. Und einer der Zuschauer wird Michael Buback sein.
Artikel von Julia Piasceczny in der Frankfurter Rundschau vom 7. Nov. 2009. Copyright: Frankfurter Rundschau
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