Die kleine Wallung
„Heinrich der Säger“ in Frankfurt
Ein Idyll: Gänse, Hühner, Enten. Friedlich schnatternd und krähend im Sonnenschein. Und wie jedes Idyll bedroht. Von den Großkonzernen, die keine Menschen, sondern nur noch Kostenstellen kennen. So entsteht Protest, zurzeit überall zu besichtigen, im Wendland seit langen Jahren und aus besten Gründen; in Stuttgart auch aus dem Gefühl heraus, sich von denen da oben nicht mehr alles vorschreiben lassen zu wollen. Der Grat ist schmal zwischen begründeter Sorge, bürgerlichem Engagement auf der einen und einem von parteipolitischem Eigennutz gesteuerten Protestchic auf der anderen Seite.
So verhieß es auch zunächst nicht unbedingt etwas Gutes, dass vor Beginn von Klaus Gietingers Stück „Heinrich der Säger“ im Frankfurter Autorentheater der Schauspieler Rolf Becker im Publikum aufstand und verkündete, dieser Abend sei den Gegnern von Stuttgart 21 gewidmet. Becker hatte 2001 die Hauptrolle in Gietingers Film gespielt, den Regisseur Wolfgang Spielvogel nun für die Bühne umgearbeitet hat.
Das bedrohte Idyll ist eine Bahnstation in einem Dorf. Dort arbeitet Kurt (Erich Schaffner) seit Jahrzehnten als Schrankenwärter. Nun will die Commerzbahn (ha ha) die Strecke stilllegen, das Personal entlassen, das Bahnwärterhaus privatisieren, also: versteigern. Dagegen formiert sich Widerstand: Kurt beginnt, das Schienennetz zu sabotieren; Postbote Heiko (Sascha Weitzel), der intensiv um Kurts Tochter Teresa (Iris Reinhardt Hassenzahl) buhlt, kommt Kurt auf die Schliche und steigt unter veränderten Bedingungen ein; ihnen auf der Spur ist Kommissar Stahl (Detlev Nyga), der an einer Eskalation so interessiert ist wie an einer Aufklärung der Sabotage. Spielvogel reiht Szenen der Auflehnung gegen eine nicht aufzuhaltende Maschinerie aneinander. Glücklicherweise geschieht dies weniger in Form blanker Parole, sondern eher in kleiner, individueller Aufwallung. Gezeigt werden soll, wie Idealismus in Gewalt umschlägt.
Das geht nicht immer ohne Klischee („Auch die RAF-Leute waren mal Idealisten“), und dass das Ganze auch noch deutlich hörbar in den deutschen Osten verlagert wurde, wäre nicht einmal nötig gewesen. Am Ende schwäbelt der Commerzbahnchef; der Bogen in die Gegenwart wäre geschlagen. Auf der Homepage des Autorentheaters spricht Gietinger von einer „Kultur des Reisens“, die zu bewahren sei: „Die Bahn gehört uns allen. Holen wir sie uns zurück!“ Gute Idee. Nur wie?