Stuttgart 21 gibt es überall

In provinzieller Idylle sitzt Bahnhofswärter Kurt Grantke. Er hält die Technik in Schuss, doch er weiß, dass sein Bahnhof im Zuge einer Streckenstilllegung geschlossen werden soll. 

Artikel von Stefan Michalzik in der Offenbach Post (Ausgabe 17.11.2010)

Die bigotte Tochter betet dafür, dass der Witwer und sie das angestammte Haus nicht verlassen müssen. Dass alles beim alten bleiben möge. In Grantke regt sich Widerstandsgeist.„Heinrich der Säger“, von Wolfgang Spielvogel für das Frankfurter Autorentheater nach einem Film des Frankfurter Regisseurs Klaus Gietinger bearbeitet und inszeniert, steht in offenkundigem Zusammenhang mit den Protesten gegen das Bahnbauprojekt Stuttgart 21. Grantke münzt Ohnmacht und Obrigkeitsverdruss in Aktion. Er zieht mit der Flex los und schneidet Lücken in die Schienen. Menschen werden geschont, Güterzüge sind das Ziel, die Lokführer holt er vorher aus dem Führerstand.

Grantke, knorrig und mit sächsischem Dialekt gespielt von Erich Schaffner, geht es einzig um die Sache, derweil sein potenzieller Schwiegersohn Sascha Weitzel eine Art realpolitische Note in Gestalt einer Lösegeldforderung einträgt. Bürger empfinden Sympathie für die Aktionen. Der einen Karrieresprung witternde Hauptkommissar mit dem sprechenden Namen Stahl (karikaturhaft: Detlev Nyga) indes bauscht das Ganze in Tateinheit mit der Presse auf.

Das flotte, gewitzte Ensembletheater wurzelt in Brechts epischer Theorie. Die Darstellungsweise ist pointiert, aber nicht albern. Dynamisch läuft das schnurrend, und es dreht an keiner Stelle hohl. Nicht zuletzt gilt es, eine Entdeckung zu feiern: Iris Reinhardt Hassenzahl entfaltet einen komödiantischen Spielwitz, der aus der Ensembleleistung hervorsticht.

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