Später Blick auf Petra Kelly [FAZ 9.5.2012]
Später Blick auf Petra Kelly
Noch einmal proben Englert und Spielvogel „Primadonna“
Aus dem schwarzen Kästchen nimmt Barbara Englert eine Pistole. Kleines Format, schwer. Fühlt sich echt an. „Es sind aber nur sechs Millimeter, die Tatwaffe hatte neun“, erklärt Englert. Auch ihre erste Pistole, ebenfalls ein Schreckschussmodell, hatte neun Millimeter – nach fast 20 Jahren und 300 Vorstellungen allerdings war das gute Stück so abgenutzt, dass es zu gefährlich geworden wäre, damit zu hantieren. Wo doch ein Schuss genügt.
Mit einer Leiche fängt „Primadonna / Schwerer Held“ an, ein Monolog über Petra Kelly, die legendäre Gründungsfigur der Partei Die Grünen. Bald jährt sich zum 20. Mal ihr gewaltsamer, nie ganz geklärter Tod, ihr Lebensgefährte Gert Bastian hat, vermutlich am 1. Oktober 1992, erst sie und dann sich selbst erschossen. Ebenso lange ist es her, dass der Autor und Regisseur Wolfgang Spielvogel und die Schauspielerin Barbara Englert einander kennen.
Nach ihrem ersten gemeinsamen Theaterstück „Primadonna / Schwerer Held“ hatten sie ihr freies Theater benannt, das sie bis 2004 in Frankfurt, zumal im Theatersaal der Brotfabrik Hausen, gemeinsam betrieben, er der Autor und Regisseur, sie die Muse und Schauspielerin, oft die einzige. Nervensäge und eine Frau, die etwas wollte, sei Kelly gewesen, eine Art Jeanne d’Arc, nur anders, findet Englert.
„Heute sind die Figur und das Stück interessanter als damals“, sagt Spielvogel. Ihre Neueinstudierung, mit leichten Strichen, begann mit einem zufälligen Treffen, kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg: „Wenn der Kretschmann gewinnt, spielen wir das wieder – um die Grünen zu erinnern, wie sie mal gedacht haben und woher sie kommen“, vereinbarten die beiden. In der Brotfabrik treffen sie sich jetzt, nach einigen Jahren der Distanz, wieder und proben jeden Morgen, was Spielvogel Englert einst auf den Leib geschrieben hatte und was sie zehn Jahre lang nicht gespielt hat.
1994 war Premiere, recherchiert aber hatten die beiden mehr als anderthalb Jahre an dem Text. „Wir haben mit allen gesprochen, sogar die Polizeiprotokolle haben wir eingesehen“, erinnert sich Englert. So arbeitet Spielvogel auch bei neueren Texten wie „Buback“, Englert schlüpft auch mit ihrem eigenen Theater oft sekundenschnell von einer Rolle in die nächste, als Regisseurin zeigt sie demnächst wieder Clemens Setz‘ „Mauerschau“; während Spielvogel mit Kollegen das Frankfurter Autoren Theater in der Brotfabrik betreibt. Dass freies Theater politisch sein soll, zeitgenössisch und kein Abklatsch des Stadttheaters, darin sind sich beide bis heute einig. 1992, als sie anfingen, konnte man mit derlei Idealen aber als freier Frankfurter Theatermacher durch die Republik touren und von seiner Kunst leben: „Würde ich heute anfangen, ginge das nicht mehr“, sagt Englert. Mit 800 Mark haben sie damals „Primadonna / Schwerer Held“ auf die Beine gestellt, das Stück war auf Festivals zu sehen, gewann Preise und wurde zu Gastspielen eingeladen. Mag sein, dass es jetzt, 20 Jahre später, auf neues Interesse stößt: „Kelly ist ja eine Bühnenfigur geworden“, sagt Spielvogel.
EVA-MARIA MAGEL
EVA-MARIA MAGEL [C) FAZ 9.5.2012