Jamal Tuschick (FR) über „Das Fest muß kommen!“

 

„Das Fest muss kommen“ variiert die unwürdige Greisin im Frankfurter Autoren Theater

Das Bühnenbild: ein Parcours der Haushaltsgegenstände. Die in klinischem Weiß aseptische Kulisse rückt dem Auditorium auf den kommutativen Leib. Der Abstand zwischen Requisiten und Stühlen nähert sich der magischen Null. Man sieht ein Spielfeld und hat Sportplatzassoziationen womöglich nur wegen aller möglichen Markierungen. Die Zeichen regeln den Verkehr und bestimmen die Laufrichtung einer Greisin in babylonischen Stimmungen. Hertha Georg ist sechsundachtzig, das Alter wirkt in Jakub Gawliks Farce „Das Fest muss kommen“ wie ein theatralischer Einfall. Im Stück heißt Hertha Georg Emma Wagner. Ihr zu spielen in der Regie des Autors und auf der Bühne des Frankfurter Autorentheaters in der Hausener Brotfabrik Judith Achner und Markus Schultz als Nora & A-Tomek. Aus der polnischen Wurzel seines Namens hat Tomek etwas amerikanisch Atomares gemacht. Drahtig füllt er eine Leerstelle in Emmas Leben. Noch einmal möchte sie Liebe erleben. Wieso denn nicht mit Tomek? Den Emma wegen eines Kartons konsultiert, damit der Karton in den Keller kommt. Auch Nora wird beansprucht, sie soll … und ist wie im Delirium dabei, Emmas Leben in eine Fassung für das Theater bringen: „Ich bin hier, weil ich ein geiles Stück machen will“. Sie sucht die hessische Version der Basement Tapes, Dylan könnte sie anno fünfundsiebzig bei Emma vergessen haben. Nora muss mitansehen, wie Tomek mit der Alten abgeht, in von Hölderlin beschrifteten Umzügen disparater Leidenschaften. Dies in der Makellosigkeit eines dreifach blendenden Chefarztaufzugs.

Hybris trifft närrische Gelassenheit. Tomek hat den Künstler in sich vor die Hunde gehen lassen und ist auf den Banker gekommen. Er „lebt am Selbstmord vorbei“, gleichsam mit hängenden Hosenträgern. Emma fällt er förmlich in die Hände. Sie animiert den Spund: „Ich nenne die Gegenwärtigkeit grandios … Das Fest wird kommen: unerbittlich und innig“.

Wie so oft auf dem Theater wird auch bei Gawlik lebhaft gewartet und spekuliert – und vermutlich gehofft, dass jetzt nicht wieder bloß Godot nicht kommt. Das Fest gelangt über seine Ankündigung nicht hinaus, die verlustreiche Vergangenheit gibt der aussichtslosen Zukunft keine Chance. Ja, man könnte sich ergeben, der abwegigen Liebe genauso wie der armen Vernunft.

Vielleicht ist es vernünftig, verrückt zu werden. Aus Wurst und Käse ergibt sich jedenfalls eine Herausforderung in der Einkaufstüte. So bringt sich – die im Zentrum der Ereignisse marginalisierte – Nora wieder ins Spiel, das Trio Infernal läuft heiß in der Matrix. Alles Schöne kann nur Simulation sein. Emma möchte Tomek zurückbauen, dass er als Künstler ihrer großen Liebe Mischa ähnlicher wird. Nora will nur „gegen das Stadtgrau anbrennen“. Tomek bringt sich um und ersteht wieder auf, man versteht nicht recht, warum Nora interessiert bleibt. Er könnte doch zum Teufel gehen oder bei Emma als Marionette ihrer Erinnerungen zappeln, so unergiebig wie er seine „Verwesung (ein Leben lang) aussitzt“.

Entnommen: www.faust-kultur.de

Eine Antwort

  1. 17. Oktober 2012

    […] Jamal Tuschick über DAS FEST MUß KOMMEN! auf Faust-Kultur! […]

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