Daheim auf dem Kampfplatz
Das Frankfurter Autoren Theater mit einem bösen Verlierer-der-Gesellschaft-Stück
Wenn man bedenkt, dass Ulf Schmidts Stück „Heimspiel“ schon 2003 für einen Preis nominiert war, ist der Dramatiker den Zeitgenossen gelegentlich eben doch eine Nasenlänge voraus. Merkt schneller, wo es hinläuft. Zum Beispiel die praktische Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission, die 2002 ihren Bericht vorlegte. Wie sich in „Heimspiel“ ein Pärchen am beziehungsweise im sozialen Abgrund noch gegenseitig den Rest gibt, kann man sich heute zwar allenthalben in nachmittäglichen Denunziations-„Doku Soaps“ anschauen und manchmal auch kurz an der Bushaltestelle, im Theater indes weiterhin nicht alle Tage. Nicht in dieser Schroffheit und mit dieser Konsequenz, bald langweilig zu sein. Denn das Gekeife, das ein vermurkstes Leben mit sich bringt, ist schrecklich langweilig. 75 Minuten können da endlos erscheinen.
Schmidt arbeitet, wie man liest, in einer Frankfurter Werbeagentur. Der Titel „Heimspiel“ ist purer Zynismus: Ja, „Heimspiel“ spielt daheim, aber ein Vorteil erwächst keinem der Beteiligten daraus. Bei der lokalen Erstaufführung durch das Frankfurter Autoren Theater in der Brotfabrik ziehen Bia, Göttin der Gewalt (Cornelia Niemann), und Kratos, Gott der Macht (Erich Schaffner), zuerst einen Klebebandkreis. Auch stellen sie größere Mengen Leergut bereit. Im Hintergrund hängt, klein, als könnte er kein Wässerchen trüben, der goldene Zankapfel der Eris (Ausstattung: Cornelia Falkenhan).
In dieser Arena nämlich wohnen, sagen wir besser: hausen, oder noch besser: halten sich zwangsläufig auf engstem Raum auf: SIE (Ricarda Klingelhöfer) und ER (Philipp Sebastian). Das ausgelaugte Paar hat neben Arbeitslosigkeit und Alkoholproblemen noch mit epileptischen Anfällen (SIE) und Analphabetismus (ER) zu kämpfen, wie der Zuschauer nach und nach erfährt. Freilich kämpfen sie gar nicht dagegen – das haben sie vielleicht früher getan -, sondern ausschließlich gegeneinander. Ihre Dialoge variieren über einen katastrophal langen Zeitraum letztlich die Sätze: „Halt die Fresse.“ „Bring den Müll weg.“ „Lass mich zufrieden, Du Dreckstück.“ „Fick Dich.“ Zwischendurch geht das Licht aus. Das verdeutlicht, dass der Zeitraum in Wirklichkeit noch viel, viel länger ist, lebenslang zum Beispiel.
ER schlägt IHR ein blaues Auge
Zwischendurch erscheint, in Form der kostümierten Götter, die Außenwelt: Sanitäter, die nicht zum ersten Mal kommen und IHN für eine Weile an den Tropf hängen. Postboten, die mit der friedfertigen Wurschtigkeit des alteingesessenen Frankfurters die nächste Absage vom Arbeitsamt bringen sowie Formulare, die ER nicht nur nicht ausfüllen will, sondern auch nicht ausfüllen kann. ER schlägt IHR ein blaues Auge. SIE ruft die Polizei. Es ist SEINE Wohnung, da kann man nichts machen. Wenigstens bekommt ER Handfesseln angelegt – hier: einen Müllsack mit Halterung übergestülpt -, aber SIE befreit ihn schon bald. Es würde immer so weitergehen, wenn Schmidt nicht noch einige Pointen zur Hand hätte, die das wirkliche Leben nie bereithält.
Die Inszenierung fordert, nicht unerwartet, aber rigoros durchgezogen, dass sich die Schauspieler völlig verausgaben. In der bittersten Szene macht Regisseurin Sabine Loew aus IHM und IHR Kegel der Götter. Die Götter sind nicht besonders treffsicher, aber es reicht aus, das Pärchen nicht nur ringen und schreien zu lassen, sondern es auch noch ständig wieder zu Boden zu schmeißen. Da purzeln sie und springen wieder auf und ringen und schreien weiter.
Die Götter wollen Unterhaltung, und da kommen die beiden ihnen gerade recht. Den staatlichen Organen geht es darum, IHN und SIE unauffällig zu machen. ER und SIE sind unsympathisch und unerträglich in ihrer Lahmheit & Aggressivität. Das Problem wird also in einer erbarmungslosen Vollständigkeit umrissen und als unter den gegebenen Umständen unlösbar eingestuft. Allerdings wussten wir das alles schon. Umso schlimmer.
Die Kritik von Judith von Sternburg erschien in der Frankfurter Rundschau vom 11.05.2009